Über das Zwischenseminar und Covid-19

Donnerstag, 28.05.2020

Ich habe sehr lange nichts von mir hören lassen, habe mich nun aber entschieden, diesen Blog mit einem letzten Eintrag abzuschließen, denn so viel sei schon mal vorweggenommen: ich bin seit knapp zwei Monaten wieder in Deutschland und mein Freiwilligendienst in Nicaragua ist vorbei.

Nachdem ich im Januar und Februar durch zwei familiäre Trauerfälle sehr aus der Bahn geworfen wurde, hoffte ich im März darauf, durch das bevorstehende Zwischenseminar in Kolumbien, meinen anschließenden Urlaub in Ecuador und natürlich durch die zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes bei Corazón Contento wieder neue Energie und Kraft tanken zu können. 

Anfang März sezte ich mich also in einen Bus, der mich über die Grenze nach Costa Rica brachte, denn von dort sollte mein Flugzeug nach Bogotá in Kolumbien starten. Ich hatte leider nur 1,5 Tage, um mir Bogotá anzusehen, was für so eine große Stadt natürlich viel zu wenig Zeit ist. Zum Vergleich, Bogotá hat mehr Einwohner als ganz Nicaragua. Obwohl ich natürlich nur einen Bruchteil gesehen habe und mir deswegen kein richtiges Urteil bilden kann, war ich gleichermaßen entzückt und verschreckt von der Stadt. Verschreckt, weil ich mit den vielen Menschen und der Größe überfordert war. Entzückt, weil besonders das Viertel in dem mein Hostel war, La Calendaria, mit seinen bunten Häusern, eindrucksvollen Graffitis, Kunsthandwerksständen, Cafés und Bars ein ganz besonderes Flair ausstrahlte. 

Dann ging es für mich weiter nach Cartagena, eine wunderschöne Stadt an der Karibikküste Kolumbiens. Dort fand unser Zwischenseminar statt und ich traf endlich auf die anderen Lateinamerika-Freiwilligen und unsere Länderleiter. Ich muss zugeben, anfangs hatte ich ein wenig bedenken ob ich mich gut in die Gruppe einfügen könnte, schließlich hatten die Anderen schon ein halbes Jahr Zeit gehabt, um sich richtig kennenzulernen. Aber diese Bedenken waren wie immer unbegründet und wir waren eine tolle Gruppe. Es tat wirklich unglaublich gut sich über alle Erlebnisse und Erfahrungen der letzten sechs Monate auszutauschen und darüber zu reflektieren, Sorgen und Ängste zu teilen, gemeinsam zu kochen, zu feiern und zu lachen. Allerdings wurde mir durch das Seminar noch einmal mehr bewusst, wie gerne ich eine*n Mitfreiwillige*n in Nicaragua gehabt hätte, um meine Erlebnisse mit jemandem zu teilen. Trotzdem konnte ich sehr viel Motivation, neue Ideen und neue Energie mitnehmen für meine kommenden sechs Monate in Nicaragua.

Einige Tage bevor unser Seminar regulär enden sollte, tauchten plötzlich die ersten Corona Fälle in Kolumbien auf. Wir hatten zwar in den Nachrichten verfolgt, dass sich die Situation in Europa, besonders in Italien und Spanien, aber auch in Deutschland, sehr zugespitzt hatte, aber irgendwie erschien mir das nicht wirklich greifbar und sehr weit weg. Kolumbien reagierte allerdings sehr schnell, genauso wie sein Nachbar Ecuador, und kündigte die vollkommene Schließung der Grenzen und die Einstellung des Flugverkehrs an. Also musste ich noch vor Ende des Seminars ein bisschen Hals über Kopf zurück nach Nicaragua fliegen. Darüber war ich ein wenig traurig, denn ich wollte eigentlich noch weiter nach Ecuador reisen, um dort Karla und Nico zu besuchen, zwei ehemalige World-Horizon Freiwillige, die ich in Ruhpolding kennengelernt habe. 

Gerade zurück in Nicaragua bekam ich plötzlich einen Anruf der dortigen Deutschen Botschaft, was mich sehr verwunderte und auch etwas verunsicherte. Der Kontakt war aber sehr nett und man wollte sich nur mal nach mir und meinen Plänen erkundigen, da ich wohl die einzige deutsche Freiwillige vor Ort war. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits eine Empfehlung des BMZ und des BMFSFJ für alle weltwärts und IJFD Freiwilligen auf Grund der Covid-19 Pandemie nach Hause zurückzukehren. Nach Rücksprache mit World-Horizon, mit meiner Familie, mit Corazón Contento und meiner Gastfamilie war ich mir ziemlich sicher, dass ich gerne in Nicaragua bleiben wollte. Innerhalb weniger Stunden änderte sich aber leider die ausgesprochene Empfehlung zu einer Anordnung, also wurde mein Heimflug gebucht und ich hatte plötzlich statt sechs Monaten nur noch vier Tage Zeit. 

Ich war unglaublich traurig und enttäuscht und konnte die Entscheidung zu dieser Zeit ehrlich gesagt nicht wirklich nachvollziehen, zumal es in Nicaragua keine positiven Covid-19 Fälle gab, im Gegensatz zu Deutschland. Meine letzten vier Tage wollte ich nutzen um mich gebührend von allen zu verabschieden und wenigstens noch einen letzten Ausflug zum Vulkan Masaya mit seinem Lavasee zu machen. Meinen Ausflug habe ich geschafft, eine Verabschiedung leider nicht, denn nachdem auch in Nicaragua der erste Mensch positiv auf Corona getestet wurde, wurde Corazón Contento umgehend geschlossen und ich konnte keinen meiner Schützlinge noch einmal sehen.

Schweren Herzens verließ ich also Nicaragua, viel zu früh und ohne richtige Verabschiedung. 

Meine Heimreise dauerte geschlagene 48 Stunden, inklusive Zwischenstopp in Mexiko und einer Nacht auf dem Flughafen in Amsterdam. In Hamburg angekommen war ich dann aber doch erstmal sehr erleichtert und froh wieder zu Hause zu sein.

Nun bin ich schon seit knapp zwei Monaten wieder zu Hause und meine Gefühle sind immer noch gemischt. Es gibt Tage, da bin ich weiterhin sehr traurig und enttäuscht und bade geradezu in Selbstmitleid. Ich habe immer noch keine Routine entwickelt, keine Aufgabe gefunden und mir fällt oft die Decke auf den Kopf. An anderen Tagen fühle ich mich gut und bin dankbar, dass ich das Privileg habe, in einem Land mit gutem Gesundheitssystem und einer stabilen Demokratie zu leben. Besonders wenn ich die Nachrichten aus Nicaragua verfolge oder von Freunden höre, wie es dort zugeht. Nicaraguas Präsident nimmt Covid-19 leider absolut nicht ernst; ganz im Gegenteil ermutigt er seine Bevölkerung eher noch dazu, gemeinsam auf die Straße zu gehen. Bis heute wurden keine Schutzmaßnahmen ergriffen und die offiziellen Fall- und Todeszahlen sind fragwürdig und passen nicht zu den Schilderungen der Bevölkerung. Umso beeindruckender finde ich es, dass die meisten Menschen trotzdem die Initiative ergreifen und sich und ihre Mitmenschen durch Masken schützen, Zentren geschlossen bleiben, in Supermärkten auf Abstand und Hygiene geachtet wird, und das alles ohne staatliche Organisation und Hilfe.

Hier noch ein paar weiterführende Links zu dem Thema:

https://www.tagesschau.de/ausland/nicaragua-corona-103.html

https://www.dw.com/de/nicaragua-ortega-ignoriert-das-coronavirus/a-53518551

https://www.deutschlandfunkkultur.de/corona-weltweit-nicaragua-befohlene-virus-ignoranz-die.2165.de.html?dram:article_id=477405

Damit verabschiede ich mich hier erst einmal, danke an diejenigen, die mich auf dieser spannenden Reise begleitet haben. Bleibt gesund und passt auf euch und auf einander auf.