Landeskunde und Corazón Contento

Dienstag, 01.10.2019

Liebe Leute die meinen Blog lesen,

Als ich meinen Freunden und Verwandten erzählte, dass ich wieder einen Freiwilligendienst machen würde, und zwar dieses Mal in Nicaragua, war die Reaktion eigentlich fast immer gleich: die meisten freuten sich sehr für mich, einige sorgten sich auch um mich (Grüße gehen raus an meine Mutter ♥) und dann fingen die Fragen an: Wo liegt Nicaragua überhaupt und welche Sprache spricht man da? Wie lange fliegt man da hin, ist es da sicher und wie bist du überhaupt auf Nicaragua gekommen? Einige hatten sowieso noch nie etwas über Nicaragua gehört und die, die schon mal etwas gehört haben, wissen vielleicht trotzdem nicht allzu viel über das Land. Deshalb möchte ich meinen heutigen Blogeintrag gerne mit ein wenig Landeskunde beginnen.

Nicaragua ist mit seinen ca. 130.000 km² zwar das flächenmäßig größte, mit seinen 6 Millionen Einwohnern aber nicht das einwohnerstärkste Land in Mittelamerika. Es ist Teil der Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika, grenzt im Süden an Costa Rica, im Norden an Honduras, im Westen an den Pazifik und im Osten an die Karibik. Amtssprache ist Spanisch, in weiten Teilen des Landes werden aber auch indigene Sprachen gesprochen, wie z. B. Miskito. Die Hauptstadt Nicaraguas heißt Managua und ist auch gleichzeitig die größte Stadt des Landes. Granada, die Stadt, in der ich lebe, ist mit ihren ca. 100.000 Einwohnern eine mittelgroße Stadt, die besonders bekannt ist für ihre schönen, bunten Kolonialhäuser. Genau wie die meisten anderen Länder Lateinamerikas, war auch Nicaragua für etwa 300 Jahre der spanischen Kolonialmacht unterworfen (die Karibikküste stand für 200 Jahre unter britischem Einfluss), bis das Land im Jahr 1821 seine Unabhängigkeit erlangte (1838 offiziell anerkannt).

Besonders bekannt ist Nicaragua heute für seine einzigartige Natur. Aus meinem Reisführer habe ich erfahren, dass es auch das Land der tausend Vulkane genannt wird. In Wahrheit gibt es aber „nur“ 19 Vulkane, von denen 6 aktiv sind. Das Land ist von vielen Flüssen und Seen durchzogen, die insgesamt mehr als 9000 km² der Landesfläche einnehmen. Der Nicaragua-See, auch Cocibolca genannt, ist mit 8000 km² das größte Binnengewässer Zentralamerikas. Der östliche Teil des Landes ist mit tropischem Regenwald bedeckt und eine der regenreichsten Regionen der Welt. Es gibt 78 Naturschutzgebiete, zahlreiche Lagunen, Wälder und Berge. Die Flora und Fauna ist in Nicaragua besonders vielfältig, dank der verschiedenen Lebensräume, die durch Vulkane, Berge, Seen, Lagunen und Wälder geboten werden.

Während ich das schreibe, bekomme ich richtig Lust das ganze Land zu bereisen. Für das kommende Wochenende habe ich einen kleinen Ausflug zum Vulkan Mombacho geplant, der liegt nur etwa 12 km entfernt von Granada, man kann ihn von hier aus auch sehr gut sehen, egal wo man sich befindet. Es handelt sich zwar um einen aktiven Vulkan, jedoch ist er seit 1570 nicht mehr ausgebrochen. In meinem nächsten Blogeintrag werdet ihr sicher mehr darüber erfahren.

 

Das war ein sehr schneller und sehr oberflächlicher Einblick in das Land, das ich gerade besser kennenlerne und eigentlich könnt ihr das auch alles auf Wikipedia und diversen anderen Seiten nachlesen. In Zukunft möchte ich natürlich einen persönlicheren Einblick bieten, möchte aber noch einmal daran erinnern, dass alles was ich erlebe, subjektiv von mir wahrgenommen wird und daraus keine allgemeinen Schlussfolgerungen gezogen werden können.

Genug Landeskunde für heute! Denn eigentlich wollte ich noch von Corazón Contento berichten, meiner Arbeitsstelle hier. Corazón Contento ist eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Neben einer Schule und Berufsvorbereitungsklassen, werden auch Psychotherapie, Physiotherapie und Reittherapie angeboten. Insgesamt werden etwa 200 (Klein-)Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Zentrum betreut; in den Schul- und Berufsvorbereitungsklassen sind aber deutlich weniger Teilnehmer. Bei Corazón Contento werden Menschen mit allen Arten von Behinderung betreut; von Autismus und Trisomie 21, über Zerebralparese, bis zu Dyskalkulie und Dyslexie. Seit knapp einem Monat arbeite ich nun schon bei Corazón Contento, ich habe die meisten Schüler*innen näher kennengelernt und bin nun dabei, eine Bindung zu ihnen aufzubauen. Mit meinen Kolleg*innen verstehe ich mich auch gut und trotz der Sprachschwierigkeiten beziehen sie mich immer mit ein. Mein Arbeitstag geht von 9:00-15:00 Uhr. Vormittags beschäftige ich mich mit 4 Schüler*innen, die alle eine Form von Zerebralparese haben. Alle haben unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, sind in ihrer Bewegung und ihrer Sprache jedoch eingeschränkt und benötigen deshalb mehr Aufmerksamkeit als der normale Unterricht ihnen bieten kann. Die Zusammenarbeit macht mir sehr viel Spaß, hat mir allerdings auch mal wieder die Grenzen meines Studiums aufgezeigt. Denn auch, wenn ich theoretisch vielleicht schon mal etwas von Zerebralparese gehört habe, so habe ich praktisch jedoch keine Ahnung, wie ich hier am besten fördern kann. Zum Glück bin ich im Zentrum aber nicht allein und alle sind mir immer gerne mit ihren Ideen und Erfahrungen behilflich. Nachmittags unterstütze ich dann immer abwechselnd zwei Lehrer in ihren Klassen. Meistens arbeiten wir künstlerisch oder handwerklich; wir stellen Papier her, bemalen die Wände, knüpfen Armbänder, basteln Schlüsselanhänger, stellen Wein her, usw. Jeden Dienstag fahre ich mit Patricia (der Direktorin von Corazón Contento) und einigen Schüler’innen zum Reiten. Das ist mein Arbeitsalltag.

Wenn ich nicht gerade arbeite, verbringe ich viel Zeit bei meiner Gastfamilie. Ich wurde hier sehr herzlich von Martha (meiner Gastmutter), Rosa (meiner Gastoma) und meinen drei Gastgeschwistern Cory (1), Brica (8) und Andrés (17) aufgenommen. Auch wenn wir (noch) nicht viel miteinander sprechen können, ist es hier immer lustig. Im Haus ist sowieso immer viel los, abgesehen von Andrés und Bricas Freund*innen und der Babysitterin für Cory, die jeden Tag hier sind, treffe ich ständig neue Leute an und habe keine Ahnung wer sie sind und was sie hier machen.

Abgesehen von meinem Spanischunterricht zweimal die Woche, habe ich noch keine Hobbys hier (1. Kann man Spanischunterricht als Hobby bezeichnen? Und 2. Ist das kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ich in Deutschland irgendwie auch keine Hobbys habe). Da ich allerdings ganz alleine hier bin und gerne Leute kennenlernen möchte, erachte ich es als Sinnvoll, mir eine Beschäftigung zu suchen, abgesehen von meinen planlosen Wanderungen durch die Stadt. Alle die mich gut kennen, werden jetzt wahrscheinlich lachen, aber ich ziehe ernsthaft Sport in Betracht und das bei diesen Temperaturen – ¡loca! Ob es jemals dazu kommen wird steht in den Sternen, ich halte euch auf dem Laufenden. 

¡Hasta pronto!